#10: Wie ging das nochmal mit dem Pause machen?
Fangen wir doch gleich mal mit einer Pause an: Augen schließen und die Gehirnköpfe drücken. Das machen wir häufig, wenn wir uns müde fühlen. Dann reiben wir instinktiv jene zwei Punkte, die sich zwischen unseren Augenbrauen befinden.
Diesmal gehen wir allerdings einen Schritt weiter: Wir überkreuzen unsere Hände. Mit der rechten Hand massieren wir den linken Gehirnknopf und umgekehrt.
Das Resultat? Wir fühlen uns munter und fokussiert, denn wir haben unsere beiden Gehirnhälften miteinander vernetzt. Anders gesagt: Wir sind mehr als bereit für ein interessantes Gespräch mit Kampfsportlehrer Ronny Kokert über Entspannung. Auf geht’s.
Haben wir ein Problem mit dem Pause machen?
Viele Leute unterbrechen den Arbeitstag lediglich für die vom Gesetz vorgeschriebene Mindestdauer. Manche arbeiten überhaupt von morgens bis abends durch. Dabei ist es erwiesen, dass Pausen die Leistung steigern.
Ist dieser Effekt stärker als die verlorene Arbeitszeit?
Ja. Wir wollen uns ja auch entspannen, aber häufig schaffen wir es einfach nicht. Dies rührt von unserem Drang zur Selbstoptimierung und dem gesellschaftlichen Leistungsdruck. Wir fokussieren uns lieber auf äußere Vorgaben, statt unserem Körper ein Ohr zu schenken.
Erholung zu suchen hat oftmals einen schlechten Ruf – trotz Yoga- und Mindfulness-Trends.
Wer etwas leistet, kann auch verzichten: „No pain, no gain“, lautet die Devise. Entspannung wird oft als Schwäche oder Schlappheit interpretiert. Und das stimmt nicht. Im Kampfsport heißt es: Kraft ist die Fähigkeit zur Entspannung – Leistung bedeutet Leichtigkeit. Das bedeutet nicht, dass man keine Kraft braucht oder nicht hin und wieder aus seiner Komfortzone heraustreten muss, um ein Ziel zu erreichen, sondern dass die Kunst und der Erfolg darin liegen, nicht krampfhaft zu agieren.
Aber wie geht das? Kann man das trainieren?
Lerne auf deinen Körper zu hören, darauf, welche Signale er dir im Moment gibt. Im stetigen Alltagstrott bekommen wir dies oft gar nicht mit oder hören unbewusst weg. Aber die Wahrnehmung unseres Körpers sollte immer im Moment geschehen. Gegenwärtigkeit ist der Schlüssel zur Ruhe und zur Entspannung.
Also einfach im Moment sein?
Genau. Gegenwärtig zu sein ist kein passiver, sondern ein aktiver Zugang, bei dem man gänzlich im Jetzt agiert. Ganz egal, ob eher ruhig oder doch aktiv, man sollte sich auf die momentane Situation beziehen.
Spricht etwas dagegen, wenn wir ganz entspannt an die Zukunft denken?
Sobald wir voraus denken, auch nur ein paar Sekunden, interpretieren wir. Wir neigen dazu, die Möglichkeiten, die vor uns liegen, abzuwägen und mit vergangenen Erlebnissen zu vergleichen. Wir ziehen Schlüsse und bilden Konzepte und Erwartungen, auf die wir beharren. Dadurch baut sich Stress auf. Bleibt unser Geist gegenwärtig, bleiben wir im Fluss. Wir bleiben in ständiger Bewegung und akzeptieren Veränderung. Das entspannt unseren Geist.
Ist es nicht ermüdend für den Geist, wenn wir ständig in Bewegung sind?
Ganz im Gegenteil. Ermüdend ist es, wenn wir uns in starre Konzepte verlieren, um die Wirklichkeit zu bewältigen. Im Moment zu sein, schafft Leichtigkeit. Einfach zu atmen, ist ein guter Weg, diesen Zustand von Leichtigkeit zu erreichen.
Einfach atmen – das tun wir doch ohnehin schon den lieben langen Tag?
Nein. In Wirklichkeit unterbrechen wir den Atem im Alltag sehr häufig. Nehmen wir als Beispiel das Aufsperren der Haustüre: Alleine hier unterbrechen wir den Atemfluss bestimmt fünfmal. Versuche beim nächsten Mal, die Haustüre aufzusperren und dabei im Atemfluss zu bleiben. Greife den Schlüssel, atme, sperr die Tür auf, atme, geh hinein …
Dabei werden dir zwei Dinge auffallen. Erstens, das Aufsperren wird einfacher, da jedes Mal, wenn wir den Atem anhalten, der Körper angespannt wird. Zweitens wirst du merken, dass eine Ruhe einkehrt und die Zeit langsamer vergehen wird. Bleibt der Atem im Fluss, so tut dies auch der Geist.
Also unterbrechen wir bei jeder Unterbrechung des Atems auch den Geist?
Genau, wir unterbrechen unsere Wahrnehmung. Wir nehmen dann unser Leben abgehackt und in einzelnen Standbildern wahr, und nicht mehr wie einen durchgehenden Film. Bleiben wir hingegen im Atemfluss, nehmen wir unsere Umgebung in ihrem natürlichen Ablauf wahr. Viele Menschen versuchen, sich mit Meditation in diesen Fluss zu bringen.
Wirkt Meditation deshalb so entspannend, weil wir dabei ganz im Moment sind?
Gegenwärtig sein, heißt zu entspannen – egal, was man dabei tut. Wenn wir zum Beispiel die ganze Nacht lang durchtanzen und darin richtig aufgehen, ist dies entspannender, als beim Meditieren zu sitzen und darüber nachzudenken, was am Montag in der Arbeit alles zu tun sein wird. Unsere Gedanken sind manchmal wie ein Affe, der von Baum zu Baum springt.
Was tut man, wenn man abends nicht einschlafen kann, weil das Gehirn rattert?
Man kann versuchen, die eigenen Gedanken zu beobachten, ohne sich mit ihnen zu identifizieren. Zählen wir unsere Atemzüge, bringen wir uns in die Gegenwart: von 1 bis 10 und dann wieder von vorne beginnen. Wie bemerkt man, wenn man die Gegenwärtigkeit verliert? Ganz leicht: Man zählt weiter … 11, 12, 13. Wenn das passiert, wieder bei 1 beginnen und bis 10 zählen. Immer wieder. So lernt man, seine Gedanken zu beobachten. Es ist nämlich nicht möglich „nicht zu denken“.
Nicht zu denken – das ist doch das höhere Ziel des Buddhismus?
Wenn Buddhisten von „nicht denken“ reden, meinen sie damit nicht, keine Gedanken zu haben. Viel mehr meinen sie damit, auf die Seite gehen und die eigenen Gedanken als Zuschauer zu Beobachten – wie einen Film. Man sieht alle Gedanken über den Bildschirm flimmern, wirkt aber selbst nicht mit, sondern schaut ganz entspannt zu. In anderen Worten: Es ist sehr wohl möglich, unsere Gedanken zu beobachten, ohne sich von ihnen fangen zu lassen.
Und wenn es uns nicht gelingt?
Dann schlagen wir das Denken mit den eigenen Waffen. Wir stellen uns einfach die Frage: Welche Farbe hat mein nächster Gedanke? Im selben Moment wird das Denken unterbrochen …
… und der springende Affe besiegt?
Den Affen können wir nicht besiegen. Wir können ihn aber füttern, pflegen und beruhigen. Indem wir ganz absichtslos im Moment sind, ohne uns auf die Zukunft zu fokussieren. Dies macht Entspannung aus: Wir entspannen uns nicht, um leistungsfähiger zu werden. Wir entspannen, um zu entspannen.